Herr Dr. Roggendorf, die Bewegungsform der Aufbereitung, also reziprok oder rotierend, ist reine Geschmacksfrage. Welche Tendenzen erkennen Sie?

Die Zielsetzung der ersten reziproken Systeme war in erster Linie eine „Vereinfachung“, also eine optimale Instrumentierung innerhalb kürzester Zeit. Das wurde oft werbewirksam eingesetzt. Vollrotierende Systeme hingegen weisen eine dauerhaft koronalwärts gerichtete Transportwirkung auf, Stichwort „archimedische Schraube“. Das ist natürlich optimal, um eine Extrusion von abgetragenem Gewebe (Dentin, Pulpa), aber auch Spülflüssigkeit und Mikroorganismen zu minimieren. Hierzu gibt es auch Daten von Gambarini et al. 2012, die zeigten, dass postoperative Beschwerden bei vollrotierenden Systemen im Vergleich zu ihren ähnlich gestalteten reziproken Pendants seltener auftraten.1

Wie begegnet das Feilensystem Procodile Q diesen Tendenzen?

Das reziproke System Procodile Q läutet in dieser Hinsicht eine neue Ära ein, weil es sich bereits bei der normalen Procodile, die nicht wärmebehandelt ist, um eine intelligente Feilen-Motor-Kombination handelt, welche die Vorteile beider Aufbereitungsarten vereint. Das bedeutet, dass im EndoPilot nicht eine einfache, stereotyp gleich agierende Vorwärts-Rückwärts-Bewegung erfolgt, sondern die Feile eine dauerhafte Vorwärtsbewegung vollzieht. Erst bei Eintritt einer Rückstellkraft, die von der Steuereinheit durch die permanente Auswertung der Daten als potenziell kritisch erachtet wird, erfolgt eine kurze alternierende Bewegung (die sog. ReFlex-Bewegung). Dabei sind zwei Modi einstellbar: der Dynamic Mode für gerade Kanäle und größere Wurzeln und der Smart Mode für gekrümmte und zierlichere Wurzeln. Ziel dieser Maßnahmen ist eine maximale Schonung der Zahnhartsubstanz sowie eine erhöhte Arbeitssicherheit. Schauen wir also zurück auf die ersten reziproken Systeme, deren Motoren noch nicht einmal mit einer Drehmomentbegrenzung für eine mögliche Lockerung im Kanal verkeilter Instrumente aufwiesen, ist dies ein Meilenstein.

Procodile besitzt einen variabel getaperten Feilenkern. Procodile Q hat diesen ebenfalls, ist zusätzlich allerdings wärmebehandelt, also vorbiegbar. Was bedeuten diese Aspekte für Flexibilität und Effizienz der Feile?

Schaut man sich ein Instrument mit einem Außenkonus an, so ist man bei deren Weiterentwicklung überrascht, wie sehr diese von der thermischen Behandlung profitiert. Die Kombination von hoher Schneideffizienz und thermischer Behandlung ist meines Erachtens genau der richtige Weg. Eine erhöhte Flexibilität bedeutet weniger Stress auf die Zahnwurzel. Instrumente mit einer höheren Rigidität führten in Finite-Element-Analysen zu einer erhöhten Belastung im Wurzeldentin.2 Zudem konnten wir in einer Langzeit-Kausimulationsstudie über einen Zeitraum von drei Jahren zeigen, dass klassische vollrotierende Instrumente mit einem größeren Taper zu einer höheren Mikrorissfortpflanzung führten.3 Allerdings war hier erstaunlich, dass ein passives, nicht-schneidendes Mehrfeilensystem gegenüber einem vollrotierenden Einfeilensystem keinen Vorteil brachte. Der Schneidleistung des Instruments kommt auf Basis dieser Erkenntnisse also eine wesentliche Bedeutung zu.

„Instrumente mit einer höheren Rigidität führten in Finite-Element-Analysen zu einer erhöhten Belastung im Wurzeldentin.“

Wie wurde die höhere Flexibilität bei Procodile Q erreicht?

Der nächste Schritt im Rahmen der Entwicklung war die Modifikation vom Konus des Instrumentenkerns, was beim Procodile-System durch den nach koronal hin degressiven Taper realisiert wurde. Somit wurde hier zusätzlicher Spanraum geschaffen, gleichzeitig konnte die Rigidität der Feile reduziert werden. Mit der konsequenten Weiterentwicklung durch eine thermische Behandlung wurde bei Procodile Q die Rigidität und damit die Rückstellkraft im Vergleich zur ursprünglichen Procodile-Feile sogar noch weiter reduziert, wodurch verringerte Kräfte auf die Zahnwurzel wirken. Nimmt man beide Punkte zusammen – degressiver Taper des Feilenkerns und die thermische Behandlung – so können wir davon ausgehen, dass die Belastung für den Zahn in der Summe weniger wird und bei identischem Versuchsaufbau eine geringere Mikrorissfortpflanzung ergeben sollte. Diese Effekte untersuchen wir gerade.

„Mit der konsequenten Weiterentwicklung durch eine thermische Behandlung wurde bei Procodile Q die Rigidität und damit die Rückstellkraft im Vergleich zur ursprünglichen Procodile-Feile sogar noch weiter reduziert, wodurch verringerte Kräfte auf die Zahnwurzel wirken.“

Procodile Q bietet mit sieben unterschiedlichen Größen, drei Tapern und drei Längen ein lückenloses Feilenspektrum. Wie lautet Ihr persönlicher Feilenplan für dieses System?

Schauen wir uns das Procodile Q-System an, so sind nicht alle Instrumente mit einem sechsprozentigen Taper versehen. Dieser ist bei Feilen der Größen 20, 25 und 30 vorhanden, bei 35 und 40 sind es nur noch fünf Prozent, bei den Größen 45 und 50 dann nur noch vier Prozent. Für mich eine sinnvolle und absolut nachvollziehbare Wahl. Ich werde auch von Kollegen immer mal gefragt, ob hier nicht größere Instrumente geplant sind und ob man dies vielleicht mal als Wunsch beim Hersteller Komet Dental angeben kann. Im Einzelfall, insbesondere bei eher runder Kanalgeometrie wie Oberkieferfrontzähnen, vielleicht auch zur Behandlung von jugendlichen Patienten, wäre dies durchaus sinnvoll. Aber bereits bei der Instrumentierung ovaler Wurzelkanäle von Eckzähnen mit einem ausgedehnten Endodont würde hier eine stärkere Schwächung bei einer höheren Aufbereitungsgröße die Folge sein. Hier kommen Feilensysteme wie die Procodile Q ins Spiel, die ein laterales oder zirkumferrentes Arbeiten erlauben. Das, was man sich früher mit der Hedströmfeile mühsam per Hand erarbeitete, lässt sich so durch die Procodile Q recht einfach maschinell durchführen. Persönlich habe ich keinen Feilenfavoriten, da es ja immer auf den Einzelfall ankommt. Wenn man, wie ich, bei über 90 Prozent der Behandlungsfälle endodontische Revisionen durchführt, so sind dies meist Molaren und Prämolaren. Hierbei wird allein aufgrund deren unterschiedlicher Wurzelgrößen klar, dass ich meist mehr als eine oder zwei Feilen benötige, sodass ich letztlich mit einem „Baukasten“ arbeite, wobei die mesialen Kanäle z. B. von Oberkiefermolaren meist eine 30 oder 35er-Größe erfordern, distobukkal oft 35, 40 oder 45, palatinal dann die Größe 50.

„Das, was man sich früher mit der Hedströmfeile mühsam per Hand erarbeitete, lässt sich so durch die Procodile Q recht einfach maschinell durchführen.“

Würden Sie zustimmen, dass die Kombi Procodile Q/EndoPilot eine neue Sicherheit in die Wurzelkanalaufbereitung gebracht hat?

Definitiv. In der Gesamtbetrachtung stellt der EndoPilot einen sehr zuverlässigen Partner für die Procodile Q dar, aber auch für das rotierende Feilensystem F360. Die technische Konzeption des Geräts mit den zuverlässigen Anschlüssen ist längst nicht branchenüblich. Zudem punktet der EndoPilot durch seine akkurate elektrische Längenbestimmung. Die simultane elektrische Längenmessung kann, falls gewünscht, permanent eingesetzt werden. Dies ist, mit dem zugehörigen Winkelstück, das über eine Durchleitung des Signals verfügt, ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal.

Patientenfall 1.1: Zustand vor Revision nach insuffizienter Wurzelkanalfüllung in Zahn 16. Zu erkennen ist die ausgedehnte knöcherne Läsion. Die Revision wurde mit einem Opener .10/#30 und ReStart (beide Komet Dental) und Eukalyptusöl durchgeführt.

Patientenfall 1.2: Röntgenmessaufnahme nach Revision der vorhandenen Wurzelkanalfüllung. Maschinelle Aufbereitung mit Procodile .04/#45 (mb und db) sowie .04/#50 (pal) mit zirkumferrenter Bearbeitung des ovalen Kanals. Anschließend erfolgte eine schallaktivierte Spülung der Wurzelkanäle mit NaOCl und EDTA sowie eine medikamentöse Einlage mit Calciumhydroxid für sechs Wochen.

Patientenfall 1.3: Kontrollröntgenaufnahme nach Reobturation mit dem biokeramischen Sealer KometBioSeal (Komet Dental) und Guttapercha. Kleine Sealerextrusion im periapikalen Bereich der Wurzelspitze (mb) erkennbar, die jedoch keinerlei Schmerzreaktion zur Folge hatte.

Patientenfall 2.1: Diagnostische Röntgenaufnahme (Scan des analogen Zahnfilms). Die nach Trauma durchgeführte Wurzelkanalfüllung an Zahn 21 ist in Länge und Homogenität insuffizient mit deutlicher periapikaler Knochenläsion als Folge mikrobieller Aktivität. Die Revision wurde mit einem Opener .10/#30 und ReStart in Kombination mit Eukalyptusöl vorgenommen. Die Längenbestimmung erfolgte mittels EndoPilot 1 (Schlumbohm/Komet Dental). Nach zirkumferrenter Aufbereitung und finaler Instrumentierung mittels K-Feile und K-Feile ISO 80 wurde eine schallaktivierte Spülung mit NaOCl und EDTA vor der abschließenden medikamentösen Einlage mit Calciumhydroxid durchgeführt.

Patientenfall 2.2: Röntgenkontrollaufnahme nach Reobturation mit KometBioSeal (Komet Dental) und Guttapercha. Einlage von CHX-Gel und Schaumstoffpellets vor der provisorischen Versorgung. Dies ermöglichte eine spätere farbliche Anpassung des Zahns durch eine direkte Kompositrestauration.

Dr. Matthias J. Roggendorf

Georg-Voigt-Straße 3
35039 Marburg
Deutschland

1 Gambarini G, Al Sudani D, Di Carlo S, Pompa G, Pacifici A, Pacifici L, Testarelli L. Incidence and intensity of postoperative pain and periapical inflammation after endodontic treatment with two different instrumentation techniques. European Journal of Inflammation 10, 99-103 (2012).

2 Kim HC, Lee MH, Yum J, Versluis A, Lee CJ, Kim BM. Potential relationship between design of nickel-titanium rotary instruments and vertical root fracture. Journal of Endodontics 36, 1195-1199 (2010).

3 Heberer MT, Roggendorf HC, Faber FJ, Lawrenz NA, Frankenberger R, Roggendorf MJ. Longitudinal craze line propagation in human root dentin after instrumentation with NiTi rotary files of different tapers after long-term chewing simulation. Clinical Oral Investigations https://doi.org/10.1007/s00784-021-04238-3 (2021).

Erstveröffentlichung: Endodontie Journal 2/22, OEMUS MEDIA AG

Hier finden Sie weitere Beiträge zu Endodontologie.

„Das Auffinden aller Kanalsystembestandteile ist essenziell, das finale Ergebnis ist selten besser als der zuvor korrekt geschaffene Zugang.“

Erfolgsaussicht der endodontischen Therapie hängt von der möglichst vollständigen chemo-mechanischen Präparation und Obturation des Kanalsystems ab. Das Auffinden aller Kanalsystembestandteile ist essenziell, das finale Ergebnis ist selten besser als der zuvor korrekt geschaffene Zugang. Ein wichtiger Punkt sind die im Weiteren von Paul Krasner und Henry J. Rankow genannten Gesetze.13

„Law of Symmetry 1“: Die Kanaleingänge liegen in gleicher Entfernung einer gedachten Linie in mesiodistaler Richtung durch die Mitte des Pulpenkammerbodens (Ausnahme sind Oberkiefermolaren).
„Law of Symmetry 2“: Die Kanaleingänge liegen senkrecht einer gedachten Linie in mesio-distaler Richtung durch die Mitte des Pulpenkammerbodens (Ausnahme sind Oberkiefermolaren).
„Law of Orifice Location 1“: Die Kanaleingänge befinden sich immer an der Verbindung der Pulpenkammerwände mit dem Pulpenkammerboden.
„Law of Orifice Location 2“: Die Kanaleingänge befinden sich in den Eckpunkten des Übergangs vom Pulpenkammerboden bis zur Pulpenkammerwand.

Eine neue Klassifikation für die Anatomie des Pulpenkammerbodens von Molaren wurde von Ajinkya M. Pawar und Shishir Singh eingeführt15 und erleichtert häufig das Auffinden aller Wurzelkanäle.

Klassifizierung von Unterkiefermolaren (UK-Molaren)

  • H: Verbindet man in Unterkiefermolaren mit vier Kanälen die mesialen und distalen Kanaleingänge durch eine Linie und zieht eine weitere Linie durch die Mitte, ähnelt das erhaltene Bild dem Buchstaben „H“ (Abb. 1).
  • Y: In Unterkiefermolaren mit nur drei Kanaleingängen ähneln die durch die Kanaleingänge gezogenen Linien dem Buchstaben „Y“ (Abb. 2).
  • Y: In Unterkiefermolaren mit nur drei Kanaleingängen ähneln die durch die Kanaleingänge gezogenen Linien dem Buchstaben „Y“ (Abb. 2).
  • I: In Unterkiefermolaren mit nur zwei Kanalsystemen ähnelt die angelegte Linie dem Buchstaben „I“ (Abb. 3).
  • Andere: Grundsätzlich ist eine Vielzahl weiterer Konfigurationen möglich, diese können aber häufig durch die im
    ersten Teil benannten Regeln aufgefunden werden.

Eigene Beobachtungen im Laufe der klinischen Therapie zeigen auch folgende Konfigurationen:

  • H: Zähne mit einem mittleren mesialen Kanal zeigen immer eine sehr starke Symmetrie. Eine Linie verläuft durch die Kanaleingänge mesial sowie distal, eine weitere zentral durch diese Linie. Damit ähneln alle zusammen dem Buchstaben „H“, wobei der mittlere mesiale Kanal im Zentrum liegt (Abb. 4).
  • H mit zusätzlichen zwei Bindestrichen: Zähne mit einem mittleren mesialen Kanal und einem mittleren distalen Kanal zeigen bei Linienbildung den bei UK-Molaren bekannten Buchstaben „H“, wobei symmetrisch zum Mittelstrich zwei weitere Linien gezogen werden. Jeder dieser Mittelstriche zeigt nun auf einen Kanaleingang. Grundsätzlich zeigt sich immer eine starke Symmetrie (Abb. 5).
  • C: Ein C-förmiger Kanal befindet sich immer zentral im Pulpenkammerboden. Dabei liegen häufig an den Enden Erweiterungen vor (Abb. 6).

Dezentrale Lage: Bei einem Kanalsystem mit einer Radix enteromolaris befindet sich deren System immer dezentral. Das Verbinden der Linien ergibt keine Symmetrie. Das Kanalsystem der Radix enteromolaris wird nicht entsprechend der Symmetrieregeln aufgefunden. Hier hilft einzig das Verfolgen der im ersten Teil genannten Arbeitsschritte (Abb. 7).

Klassifizierung von Oberkiefermolaren (OK-Molaren)

  • K: In OK-Molaren mit vier Kanalsystemen ähneln Linien, die vom palatinalen zum distalen Kanaleingang gezogen werden, und Linien, die von der Mitte dieser Linie zu mesiobukkalen Kanalsystemen gezogen werden, dem Buchstaben „K“. Als weiteres Hilfsmittel zum Auffinden des zweiten mesiobukkalen Kanals kann eine Linie zwischen dem palatinalen Kanal und Mb1 gezogen werden. Alle weiteren mesialen Kanäle liegen mesial dieser Linie (blau, Abb. 8).
  • Y: In OK-Molaren mit ausnahmsweise nur drei Kanalsystemen bilden die Linien den Buchstaben „Y“ (Abb. 9). I: In Oberkiefermolaren ähnelt eine Linie, die durch die Kanaleingänge gezogen wird, dem Buchstaben „I“ (Abb. 10).
  • Andere: Grundsätzlich ist eine Vielzahl weiterer Konfigurationen möglich, diese können aber häufig durch die im ersten Teil benannten Regeln aufgefunden werden.

Eigene Beobachtungen im Laufe der klinischen Therapie zeigten weiter folgende Klassifikationen:

  • Linie Pal/Mb1: Bei OK-Molaren mit drei oder vier mesialen Kanalsystemen kann eine gedachte Linie zwischen dem palatinalen Kanal und Mb1 gezogen werden. Alle weiteren mesialen Kanäle liegen mesial dieser Linie (blau), sowie als weiteren Bezugspunkt parallel zur
    Randleiste (Abb. 11).
  • Linie Pal/Mb1 + Mb2/DB2: Bei Oberkiefermolaren mit zwei distalen Kanalsystemen befindet sich das zweite Kanalsystem senkrecht einer gedachten Linie vom palatinalen Kanalsystem zum ersten mesiobukkalen Kanalsystem (nach Mb1 und von dieser symmetrisch zum Mb2; Abb. 12).
    Bei OK-Molaren mit einem länglichen Kanalsystem befindet sich dieses zentral am Pulpenkammerboden (Abb. 13). Für die Schaffung der sekundären Zugangskavität eignen sich dann vollrotierend oder reziprok arbeitende Instrumente. Diese ermöglichen eine schonende Verlagerung der Kanaleingänge, ohne für einen übermäßigen Substanzabtrag zu sorgen.

Fazit

Der unbestritten wichtigste Schritt jeglicher Therapie ist die Durchführung einer sorgfältigen und vollumfänglichen Diagnostik. Ergibt sich nach einer sorgfältig erhobenen Anamnese und klinischen/radiologischen Diagnostik die Notwendigkeit eines endodontischen Eingreifens, ist die Schaffung der richtigen primären und sekundären Zugangskavität eine wichtige Voraussetzung sowohl für die möglichst vollständige chemomechanische Reinigung als auch die dreidimensionale Obturation des Kanalsystems.

Dr. med. dent. Günther Stöckl

Max-von-Müller-Str. 33
84056 Rottenburg
Deutschland

Dr. Stöckl

Erstveröffentlichung: „Erstveröffentlichung: Endodontie Journal 2/23, OEMUS MEDIA AG

Auswirkungen unbehandelter Wurzelkanäle

Die American Association of Endodontics (AAE) formulierte 2010, dass für eine Steigerung der Erfolgswahrscheinlichkeit endodontisch behandelter Zähne die größtmögliche Menge des Pulpakomplexes entfernt werden muss. Das setzt voraus, dass alle Wurzelkanäle durch die Anatomiegesetze des Pulpakammerbodens aufgefunden werden. Dies ist nur möglich, wenn eine 360 ­Grad­Sicht auf die Schnittstelle Pulpenkammerwand/Pulpenkammerboden geschaffen wurde2. Costa et al. untersuchten 807 DVTs mit insgesamt 2.294 endodontisch behandelten Zähnen, wovon 281 (zwölf Prozent) mindestens einen unbehandelten Kanal zeigten. Die Häufigkeit einer apikalen Parodontitis in Zähnen mit wenigstens einem unbehandelten Kanal war signifikant höher im Vergleich zu Zähnen, bei denen alle Kanäle behandelt wurden (274/281, 98 Prozent vs. 1.736/2.013, 86 Prozent).

Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer apikalen Parodontitis war mit noch mindestens einem unbehandelten Kanal 6,25­mal höher. Die mesiobukkale Wurzel von ersten Oberkiefermolaren zeigte am häufigsten unbehandelte Wurzelkanäle (114/154, 74 Prozent), wobei in dieser am häufigsten der zweite mesiobukkale Kanal nicht behandelt worden war (106/114, 93 Prozent). Sie folgerten daraus, dass endodontisch behandelte Zähne mit wenigstens einem unbehandelten Kanalsystem eine hohe Prävalenz für die Entwicklung einer posttherapeutischen apikalen Parodontitis aufwiesen3.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Baruwa et al.4 und auch Colakoglu et al., die zeigten, dass mit einer 5,5­ mal höheren Wahrscheinlichkeit ein ähnliches Risiko bei Oberkiefermolaren mit einem unbehandelten zweiten mesiobukkalen Kanal vorliegt.5 Karabucak et al. zeigten in ihrer Studie zur Prävalenz von apikaler Paradontitis bei Molaren und Prämolaren, dass unbehandelte Wurzelkanäle am häufigsten bei Oberkiefermolaren (zu 40,1 Prozent) und am seltensten bei Oberkieferprämolaren (zu 9,5 Prozent) auftreten/vorkommen.6 Allerdings sind auch im Unterkiefer unbehandelte Kanäle mit einer Wahrscheinlichkeit von 81,8 Prozent an der Entstehung einer apikalen Parodontits beteiligt.7

Auffinden und gleichzeitig Zahnsubstanz schonen

Das Auffinden aller Wurzelkanäle ist also ein entscheidender Schritt in der endodontischen Therapie. Aktuell gibt es Überlegungen, möglichst wenig gesunde Substanz zum Erreichen dieses Zieles zu opfern.

Als eine der Ersten beschrieben Clark und Khademi Konzepte (wie z. B. das Belassen von Teilen des Pulpenkammerdaches und folglich einer Schonung des perizervikalen Dentins), um letztendlich das Überleben des endodontisch behandelten Zahnes zu verbessern.8, 9 Mandil et al. beschrieben in ihrem Artikel das Belassen des Cingulums, der Crista transversa und von Teilen des Pulpenkammerdaches als Faktoren, welche die Frakturresistenz von endodontisch behandelten Zähnen erhöhen könnte. Sie bewerteten die Schonung des zervikalen Dentins als den wichtigsten Schritt für Funktion und Lebenserwartung des endodontisch behandelten Zahnes.10 Silva et al. folgerten aus ihrer Untersuchung, dass die verkleinerten Zugangskavitäten in der Endodontie wegen ihrer maximalen Schonung der Zahnsubstanz (vor allem des perizervikalen Dentins und damit einer möglichen Verbesserung der Frakturresistenz) immer mehr Aufmerksamkeit bekommen. Sie schlugen aufgrund der aktuell uneinheitlichen Namensgebung eine neue Nomenklatur vor und benannten auch die Probleme, die diese Konzepte mit sich bringen können. Dazu zählen z. B. eine schlechtere Visualisierung mit Gefahr von iatrogenen Komplikationen als auch erhöhte Schwierigkeiten beim Auffinden, bei der chemomechanischen Reinigung und der Obturation der Kanalsysteme.

Ein positiver Einfluss des Designs der Zugangskavität auf die Frakturresistenz ist momentan limitiert und kontrovers zu sehen.11

Die primäre Zugangskavität

Ballester et al. empfahlen, die primäre Zugangskavität so klein zu halten, sodass sie gerade noch praktikabel ist. Sie fanden ohne Zuhilfenahme des dentalen Operationsmikroskops bei minimalen Zugangskavitäten eine deutlich erhöhte Gefahr für das Nichtauffinden von Kanalsystemen. Der erhoffte Vorteil einer deutlich erhöhten Frakturresistenz bei Zähnen mit minimalistischem Zugang zeigte sich allerdings nur, wenn alle Randleisten des Zahnes unversehrt waren. Bei Verlust einer oder beider
Randleisten konnte diese nicht mehr nachgewiesen werden.12

Grundsätzlich sollten beim Anlegen der primären Zugangskavität diese Symmetriegesetze von Krasner und Rankow zu Hilfe genommen werden:13

  • Zentralitätsregel: Der Boden der Pulpakammer ist auf dem Nieau der Schmelz-Zement-Grenze immer im Zentrum des Zahnes lokalisiert.
  • Konzentrizitätsregel: Die Wände der Pulpakammer verlaufen auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze konzentrisch zur äußeren Zahnoberfläche.
  • Konzentrizitätsregel: Die Wände der Pulpakammer verlaufen auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze konzentrisch zur äußeren Zahnoberfläche.
  • Farbregel: Der Pulpakammerboden ist immer dunkler als die Pulpakammerwände. Nach Sondieren mit einer PA­-Sonde zum Erkennen der Schmelz­-Zement-Grenze, kann nach Abschätzung der Tiefe des Pulpenkammerdachs mit den Instrumenten 15802.314.014 und den Kronentrennern 4ZR 314.014 und ZR6801.314.014 bis zum Durchbrechen des Daches präpariert werden (Abb. 1a– c). Eine weitere Abtragung kann dann ohne die Gefahr einer Perforation des Pulpenkammerbodens mit dem EndoGuard durchgeführt werden, der eine nicht belegte Spitze besitzt.

Das Auffinden der Wurzelkanaleingänge – Teil 1

Zusätzlich zu den Punkten, welche das Auffinden von Kanaleingängen erleichtern, hat Ruddle 2011 folgende weitere formuliert14:

  • Restorative disassembly
  • Periodontal probing
  • Vision (magnifi cation + illumination)
  • Transillumination
  • Access cavity modifi cation
  • Radiographic diagnosis (+ cone- beam computed tomography; Abb. 2)
  • Knowledge of tooth anatomy (Abb. 3)
  • Color und symmetry (Abb. 4)
  • Long neck burs/Ultrasonics Long shaft Instruments (MicroOpener/Probe DG16; Abb. 5)
  • Red Line/White Line Test (Abb. 6)
  • Tests (Bubble Test/Fluorescecin/Pooling; Abb. 7)

Fazit

Die endodontische Therapie kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle Wurzelkanäle gefunden und behandelt werden können. Dabei ist eine schonende Vorgehensweise essenziell. In diesem Teil wurde auf die Möglichkeiten eines schonenden Auffindens der Wurzelkanäle eingegangen.

In Teil 2 werden weitere Gesetze und Klassifikationen zur Anatomie des Pulpakammerbodens am Beispiel von Ober­- und Unterkiefer molaren vorgestellt.

Dr. med. dent. Günther Stöckl

Max-von-Müller-Str. 33
84056 Rottenburg
Deutschland

Dr. Stöckl

Erstveröffentlichung: Endodontie Journal 4/22, OEMUS MEDIA AG“ bzw. „Erstveröffentlichung: Endodontie Journal 2/23, OEMUS MEDIA AG