„Well begun is half done“ – Darstellung von Wurzelkanälen Teil 1: Herausforderungen und Vorgehen
Die endodontische Zugangskavität wird unterteilt in die primäre Zugangskavität, welche den Zugang zum Pulpenkavum ermöglichen soll, sowie die sekundäre Zugangskavität, welche den Zugang zum Kanalsystem erlauben soll. Die endodontische Zugangskavität soll somit das ungehinderte Erreichen der Pulpenkammer und des Kanalsystems sicherstellen sowie das Auffinden, die chemomechanische Reinigung und die Obturation aller Wurzelkanalsysteme ermöglichen.
Auswirkungen unbehandelter Wurzelkanäle
Die American Association of Endodontics (AAE) formulierte 2010, dass für eine Steigerung der Erfolgswahrscheinlichkeit endodontisch behandelter Zähne die größtmögliche Menge des Pulpakomplexes entfernt werden muss. Das setzt voraus, dass alle Wurzelkanäle durch die Anatomiegesetze des Pulpakammerbodens aufgefunden werden. Dies ist nur möglich, wenn eine 360 GradSicht auf die Schnittstelle Pulpenkammerwand/Pulpenkammerboden geschaffen wurde2. Costa et al. untersuchten 807 DVTs mit insgesamt 2.294 endodontisch behandelten Zähnen, wovon 281 (zwölf Prozent) mindestens einen unbehandelten Kanal zeigten. Die Häufigkeit einer apikalen Parodontitis in Zähnen mit wenigstens einem unbehandelten Kanal war signifikant höher im Vergleich zu Zähnen, bei denen alle Kanäle behandelt wurden (274/281, 98 Prozent vs. 1.736/2.013, 86 Prozent).
Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer apikalen Parodontitis war mit noch mindestens einem unbehandelten Kanal 6,25mal höher. Die mesiobukkale Wurzel von ersten Oberkiefermolaren zeigte am häufigsten unbehandelte Wurzelkanäle (114/154, 74 Prozent), wobei in dieser am häufigsten der zweite mesiobukkale Kanal nicht behandelt worden war (106/114, 93 Prozent). Sie folgerten daraus, dass endodontisch behandelte Zähne mit wenigstens einem unbehandelten Kanalsystem eine hohe Prävalenz für die Entwicklung einer posttherapeutischen apikalen Parodontitis aufwiesen3.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Baruwa et al.4 und auch Colakoglu et al., die zeigten, dass mit einer 5,5 mal höheren Wahrscheinlichkeit ein ähnliches Risiko bei Oberkiefermolaren mit einem unbehandelten zweiten mesiobukkalen Kanal vorliegt.5 Karabucak et al. zeigten in ihrer Studie zur Prävalenz von apikaler Paradontitis bei Molaren und Prämolaren, dass unbehandelte Wurzelkanäle am häufigsten bei Oberkiefermolaren (zu 40,1 Prozent) und am seltensten bei Oberkieferprämolaren (zu 9,5 Prozent) auftreten/vorkommen.6 Allerdings sind auch im Unterkiefer unbehandelte Kanäle mit einer Wahrscheinlichkeit von 81,8 Prozent an der Entstehung einer apikalen Parodontits beteiligt.7
anatomischen Strukturen kann eine Abweichung der Lage in orovestibulärer Richtung erkannt werden.
Auffinden und gleichzeitig Zahnsubstanz schonen
Das Auffinden aller Wurzelkanäle ist also ein entscheidender Schritt in der endodontischen Therapie. Aktuell gibt es Überlegungen, möglichst wenig gesunde Substanz zum Erreichen dieses Zieles zu opfern.
Als eine der Ersten beschrieben Clark und Khademi Konzepte (wie z. B. das Belassen von Teilen des Pulpenkammerdaches und folglich einer Schonung des perizervikalen Dentins), um letztendlich das Überleben des endodontisch behandelten Zahnes zu verbessern.8, 9 Mandil et al. beschrieben in ihrem Artikel das Belassen des Cingulums, der Crista transversa und von Teilen des Pulpenkammerdaches als Faktoren, welche die Frakturresistenz von endodontisch behandelten Zähnen erhöhen könnte. Sie bewerteten die Schonung des zervikalen Dentins als den wichtigsten Schritt für Funktion und Lebenserwartung des endodontisch behandelten Zahnes.10 Silva et al. folgerten aus ihrer Untersuchung, dass die verkleinerten Zugangskavitäten in der Endodontie wegen ihrer maximalen Schonung der Zahnsubstanz (vor allem des perizervikalen Dentins und damit einer möglichen Verbesserung der Frakturresistenz) immer mehr Aufmerksamkeit bekommen. Sie schlugen aufgrund der aktuell uneinheitlichen Namensgebung eine neue Nomenklatur vor und benannten auch die Probleme, die diese Konzepte mit sich bringen können. Dazu zählen z. B. eine schlechtere Visualisierung mit Gefahr von iatrogenen Komplikationen als auch erhöhte Schwierigkeiten beim Auffinden, bei der chemomechanischen Reinigung und der Obturation der Kanalsysteme.
Ein positiver Einfluss des Designs der Zugangskavität auf die Frakturresistenz ist momentan limitiert und kontrovers zu sehen.11
Die primäre Zugangskavität
Ballester et al. empfahlen, die primäre Zugangskavität so klein zu halten, sodass sie gerade noch praktikabel ist. Sie fanden ohne Zuhilfenahme des dentalen Operationsmikroskops bei minimalen Zugangskavitäten eine deutlich erhöhte Gefahr für das Nichtauffinden von Kanalsystemen. Der erhoffte Vorteil einer deutlich erhöhten Frakturresistenz bei Zähnen mit minimalistischem Zugang zeigte sich allerdings nur, wenn alle Randleisten des Zahnes unversehrt waren. Bei Verlust einer oder beider
Randleisten konnte diese nicht mehr nachgewiesen werden.12
Grundsätzlich sollten beim Anlegen der primären Zugangskavität diese Symmetriegesetze von Krasner und Rankow zu Hilfe genommen werden:13
- Zentralitätsregel: Der Boden der Pulpakammer ist auf dem Nieau der Schmelz-Zement-Grenze immer im Zentrum des Zahnes lokalisiert.
- Konzentrizitätsregel: Die Wände der Pulpakammer verlaufen auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze konzentrisch zur äußeren Zahnoberfläche.
- Konzentrizitätsregel: Die Wände der Pulpakammer verlaufen auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze konzentrisch zur äußeren Zahnoberfläche.
- Farbregel: Der Pulpakammerboden ist immer dunkler als die Pulpakammerwände. Nach Sondieren mit einer PA-Sonde zum Erkennen der Schmelz-Zement-Grenze, kann nach Abschätzung der Tiefe des Pulpenkammerdachs mit den Instrumenten 15802.314.014 und den Kronentrennern 4ZR 314.014 und ZR6801.314.014 bis zum Durchbrechen des Daches präpariert werden (Abb. 1a– c). Eine weitere Abtragung kann dann ohne die Gefahr einer Perforation des Pulpenkammerbodens mit dem EndoGuard durchgeführt werden, der eine nicht belegte Spitze besitzt.
Das Auffinden der Wurzelkanaleingänge – Teil 1
Zusätzlich zu den Punkten, welche das Auffinden von Kanaleingängen erleichtern, hat Ruddle 2011 folgende weitere formuliert14:
- Restorative disassembly
- Periodontal probing
- Vision (magnifi cation + illumination)
- Transillumination
- Access cavity modifi cation
- Radiographic diagnosis (+ cone- beam computed tomography; Abb. 2)
- Knowledge of tooth anatomy (Abb. 3)
- Color und symmetry (Abb. 4)
- Long neck burs/Ultrasonics Long shaft Instruments (MicroOpener/Probe DG16; Abb. 5)
- Red Line/White Line Test (Abb. 6)
- Tests (Bubble Test/Fluorescecin/Pooling; Abb. 7)
Fazit
Die endodontische Therapie kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle Wurzelkanäle gefunden und behandelt werden können. Dabei ist eine schonende Vorgehensweise essenziell. In diesem Teil wurde auf die Möglichkeiten eines schonenden Auffindens der Wurzelkanäle eingegangen.
In Teil 2 werden weitere Gesetze und Klassifikationen zur Anatomie des Pulpakammerbodens am Beispiel von Ober- und Unterkiefer molaren vorgestellt.
Durch das Nachverfolgen von weißen Linien (ein gepresstes Dentin oder Debris) oder roten Linien (vitales Pulpen gewebe) mit überlangen Instrumenten können zusätzliche Kanäle aufgefunden werden. Abb. 7a und b: Vor dem dentinadhäsiven Verschluss zeigte sich an einer Stelle nach Luft-Wasser-Spray und Trocknung eine Ansammlung von Wasser. An dieser Stelle konnte mit überlangen
Instrumenten ein weiterer Kanal nachverfolgt werden.
Dr. med. dent. Günther Stöckl
Max-von-Müller-Str. 33
84056 Rottenburg
Deutschland
Erstveröffentlichung: Endodontie Journal 4/22, OEMUS MEDIA AG“ bzw. „Erstveröffentlichung: Endodontie Journal 2/23, OEMUS MEDIA AG